Buchtipp: Mein griechisches Dorf

Auf der Suche nach dem ursprünglichen Griechenland

– Kaum erschienen hat das Buch „Mein griechisches Dorf“ den International Media Creative Award (IMCA) in London und Silber beim Deutschen Fotobuchpreis gewonnen.

Christian Beck – fotoforum-Redakteur

Es riecht nach verbranntem Holz. Der kräftige Nordwind hat nochmals die Kälte in die Berge zurückgebracht. Die Männerrunde, die sich um den Bollerofen bildet, wird immer größer und die Kommentare zur Politik im fernen Athen werden lauter. Die Hammerschläge aus der benachbarten Werkstatt scheinen diesen Debatten zusätzliches Gewicht zu geben. In der Metzgerei verfolgt die Kundschaft, wie Emmanuel das Schlachtfleisch zerteilt. Mittagszeit! Die Schulkinder kommen nach Hause und die Bauern kehren von der Feldarbeit zurück …
So beschreibt der Schweizer Fotograf Wolfgang Bernauer das griechische Idealdorf. Nach diesem Ort sucht man heutzutage allerdings vergebens. Längst hat die Moderne Einzug gehalten. Ganze Regionen haben sich entvölkert, die Jugend ist in die Städte gezogen. Für seinen neuen Bildband Mein griechisches Dorf suchte Bernauer in weiten Teilen Griechenlands nach Elementen des ursprünglichen Dorflebens und traf auf Menschen, die ihre
traditionellen Lebensweisen pflegen und bewahren, aber auch auf Bewohner, die im Dorf einen neuen Anfang wagen. Warmherzig und mit Hingabe fotografierte er Menschen und Bräuche und fand so die fotografischen Mosaiksteine für ein neues, für sein griechisches Dorf. Mehr noch: Mit seinem Bildband schlägt er eine Brücke vom griechischen zum globalen Dorf und findet neben Herausforderungen auch Zuversicht für die Zukunft.

Christian Beck sprach mit Wolfgang Bernauer

Wie kam es zu diesem Projekt?
Sturmwetter und Dauerregen verhinderten im Frühjahr 1996 die Ab- und Weiterreise aus einem kleinen Bergdorf im Süden Griechenlands. Nach einer knappen Woche kannte ich nicht nur den Lehrer, den Tavernenwirt und den Schuhmacher, sondern fast jeden der gut 100 Einwohner. Es entwickelten sich Freundschaften und herzliche Begegnungen, die ich nicht nur in meinem Gedächtnis, sondern auch im Bild festhalten wollte. Nach diesen Tagen begann ich systematisch nach solchen traditionellen Dörfern und Plätzen zu suchen: nach Kaffeehäusern, Ladenlokalen und Werkstätten. Dabei bereitet mir die Detektivarbeit fast so viel Freude wie die anschließende fotografische Umsetzung.

Ist es die Tradition, die Sie so fasziniert?
Nein, mich interessiert der Mensch, der hinter der Tradition steht. Viele Menschen haben allerdings keine freie Wahl zwischen dem traditionellen Bergdorf und dem modernen Stadtleben. Aber häufig erlebe ich auch, dass bewusst Entscheidungen getroffen wurden: zugunsten der Entschleunigung, für das Weiterführen des elterlichen Betriebs, für ein Leben in der Großfamilie, für das heimatliche Ackerland oder die Pflege des kulturellen Erbes.
Solche Biografien faszinieren mich.

Was ist Ihnen bei Ihren Fotos besonders wichtig?
Respekt und die Würde der abgebildeten Menschen.

Wenn man so will, ist im übertragenen Sinne die ganze Welt ein griechisches Dorf. Sehen Sie darin Gefahren oder Chancen?
Zusammengehörigkeit, gemeinsame Erinnerungen, Nähe, Familie, Herkunft und Tradition machen zu einem guten Teil das Zuhausesein und die Heimat aus. In griechischen Dörfern erlebt man das intensiv und in konzentrierter Form. Auch in meinem neuen Bildband ist dies – so meine ich – gut zu spüren und zu erleben. Vielleicht regt dies dazu an, im eigenen Leben solche Werte besser zu erkennen, zu schätzen, zu reflektieren und zu pflegen. So gesehen birgt in meinen Augen das griechische Dorf eine große Chance.

Wolfgang Bernauer ist ein Schweizer Augenarzt, Autor und Fotograf. Seine Fotografien lenken den Blick auf das traditionelle Leben, die Wohnverhältnisse, den Festtagskalender und alte Handwerkstechniken. Ein mehrwöchiger Aufenthalt in Olymbos initiierte 1996 das Langzeitprojekt „Mein griechisches Dorf“.


www.wolfgangbernauer.com
Instagram @wbernauerphotography

Wolfgang Bernauer:
Mein griechisches Dorf,
148 Seiten, 35 x 25 cm,
Leineneinband,
Edition Bildperlen,
ISBN 978-3-96546-002-7, 49 Euro

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Auch für mich gelten die Datenschutzbestimmungen: